Becherklang

[71] Melodie von J.F. Reichardt.


Seit nun Gott die Welt durchschnitten

Mit der Allmacht sausend Schwert,

Liegt in Tag und Nacht inmitten,

Wer des Weines Becher leert:

Tief und dunkel zieht der Becher,

Licht und strahlend singt der Zecher,

Schwingt den Huth und jubelnd singt,

Daß der Becher schwirrend springt.


So soll Wein die Welt verbinden,

Die getrennt in Licht und Nacht,

Wie die Lichter mir verschwinden,

Scheinet licht, was ich gedacht,

Daß nun alle mit mir singen,

Muß mir Herz und Mund aufspringen,

Ja des Paradieses Baum

Hat in diesem Keller Raum.


Seht, es steigt aus mir hernieder

Lucifer, der lang verbannt,

Er und Bachus sind zwei Brüder,

Es erscheint ein neues Land

Weingelaubt der Jünger Schaaren,

Flammen in des Waldes Haaren

Leuchten durch die Dämmerung

Alle in erhabnen Schwung.[72]


Panther, Löw' und blaue Schlangen

Liegen auf dem Rücken schon;

Faunenweibchen, ohne Bangen

Säugst du Tieger ohne Lohn?

Können sie dich nicht mehr missen,

Einen hab ich abgerissen,

Der hing fest an deiner Brust,

Nimm mein Söhnlein dran zur Lust.


Was erblick ich, die Gesellen

Halten Kronen rings für mich,

Wollt ihr euch wie Menschen stellen,

Oder bin ein Gott auch ich?

Nun so kann ich euch beglücken,

Kann erschaffen mit Entzücken,

Heute schaff ich euch die Welt,

Wie ein jeder sie bestellt.


Tanzet munter, tretet Leimen,

Tretet Rosenblätter drein,

Und ich will schon tüchtig reimen,

Feuchtet an den Stoff mit Wein,

Laßt den Honig aus den Zellen,

Seht wie schlägt der Wein nun Wellen,

Macht den Kopf zur Töpferscheib,

Menschen formt zum Zeitvertreib.


Lebe jeder, der's verlanget,

Sterbe, wer nicht leben mag,

Was der Brüder Herz erlanget

Und verlanget, jeder sag,

Was der Wein jetzt offenbaret

Sinkt in Nacht, wenn Tag uns klaret,

Nur der Augenblick sei ganz

Offner Herzen Flammenkranz.[73]


Ich, der Becher geh im Kreise,

Tausend Geister send' ich euch,

Jeder bleib bei seiner Weise,

Bin ich doch für alle reich.

Wie ein Meer ich kann euch fassen

Und die Welt, sie liegt im Nassen,

Jedem wird ein Schatz gezeigt,

Der sein Haupt recht tief mir neigt.


Kommt, ihr meine lust'gen Böcke,

Auf die höchste Felsenspitz',

Pflanzt mir da die schönsten Stöcke,

Daß der Wein hochthronend sitz',

Unter lichten Rebenlauben

Stoßen Ziegen sich um Trauben,

Mir zum Munde spritzt der Saft,

Alle Welt ist voller Kraft.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Werke. Band 22: Gedichte, Teil 1, Bern 1970, S. 71-74.
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