Der armen Schönheit Lebenslauf

[348] Die arme Schönheit irrt auf Erden,

So lieblich Wetter draußen ist,

Möcht gern recht viel gesehen werden,

Weil jeder sie so freundlich grüßt.


Und wer die arme Schönheit schauet,

Sich wie auf großes Glück besinnt,[348]

Die Seele fühlt sich recht erbauet,

Wie wenn der Frühling neu beginnt.


Da sieht sie viele schöne Knaben,

Die reiten unten durch den Wind,

Möcht manchen gern im Arme haben,

Hüt dich, hüt dich, du armes Kind!


Da ziehn manch redliche Gesellen,

Die sagen: »Hast nicht Geld, noch Haus,

Wir fürchten deine Augen helle,

Wir haben nichts zum Hochzeitsschmaus.«


Von andern tut sie sich wegdrehen,

Weil keiner ihr so wohl gefällt,

Die müssen traurig weitergehen,

Und zögen gern ans End der Welt.


Da sagt sie: »Was hilft mir mein Sehen,

Ich wünscht, ich wäre lieber blind,

Da alle furchtsam von mir gehen,

Weil gar so schön mein' Augen sind.« –


Nun sitzt sie hoch auf lichtem Schlosse,

In schöne Kleider putzt sie sich,

Die Fenster glühn, sie winkt vom Schlosse,

Die Sonne sinkt, das blendet dich.


Die Augen, die so furchtsam waren,

Die haben jetzt so freien Lauf,

Fort ist das Kränzlein aus den Haaren,

Und hohe Federn stehn darauf.


Das Kränzlein ist herausgerissen,

Ganz ohne Scheu sie mich anlacht;

Geh du vorbei: sie wird dich grüßen,

Winkt dir zu einer schönen Nacht. –


Da sieht sie die Gesellen wieder,

Die fahren unten auf dem Fluß,[349]

Es singen laut die lust'gen Brüder,

So furchtbar schallt des einen Gruß:


»Was bist du für 'ne schöne Leiche!

So wüste ist mir meine Brust,

Wie bist du nun so arm, du Reiche,

Ich hab an dir nicht weiter Lust!«


Der Wilde hat ihr so gefallen,

Laut schrie sie auf bei seinem Gruß,

Vom Schloß möcht sie herunterfallen,

Und unten ruhn im kühlen Fluß. –


Sie blieb nicht länger mehr da oben,

Weil alles anders worden war,

Vor Schmerz ist ihr das Herz erhoben,

Da ward's so kalt, doch himmlisch klar.


Da legt sie ab die goldnen Spangen,

Den falschen Putz und Ziererei,

Aus dem verstockten Herzen drangen

Die alten Tränen wieder frei.


Kein Stern wollt nicht die Nacht erhellen,

Da mußte die Verliebte gehn,

Wie rauscht der Fluß! die Hunde bellen,

Die Fenster fern erleuchtet stehn.


Nun bist du frei von deinen Sünden,

Die Lieb zog triumphierend ein,

Du wirst noch hohe Gnade finden,

Die Seele geht in Hafen ein.


Der Liebste war ein Jäger worden,

Der Morgen schien so rosenrot,

Da blies er lustig auf dem Horne,

Blies immerfort in seiner Not.[350]


Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 348-351.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1841)
Gedichte
Fünfzig Gedichte
Und es schweifen leise Schauer: Gedichte (Lyrik)
Sämtliche Gedichte und Versepen
Gedichte (Fiction, Poetry & Drama)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon