Du bist ein Mensch, das weißt du wohl

[212] 1.

Du bist ein Mensch, das weißt du wohl,

Was strebst du denn nach Dingen,

Die Gott, der Höchst, alleine soll

Und kann zu Werke bringen?

Du fährst mit deinem Witz und Sinn

Durch so viel tausend Sorgen hin

Und denkst: wie wills auf Erden

Doch endlich mit mir werden?


2.

Es ist umsonst. Du wirst fürwahr

Mit allem deinem Dichten

Auch nicht ein einzges kleinstes Haar

In aller Welt ausrichten,[212]

Und dient dein Gram sonst nirgend zu,

Als daß du dich aus deiner Ruh

In Angst und Schmerzen stürzest

Und selbst das Leben kürzest.


3.

Willst du was tun, was Gott gefällt

Und dir zum Heil gedeihet,

So wirf dein Sorgen auf den Held,

Den Erd und Himmel scheuet,

Und gib dein Leben, Tun und Stand

Nur fröhlich hin in Gottes Hand,

So wird er deinen Sachen

Ein fröhlich Ende machen.


4.

Wer, hat gesorgt, da deine Seel

Im Anfang deiner Tage

Noch in der Mutterleibeshöhl

Und finsterm Kerker lage?

Wer hat allda dein Heil bedacht?

Was tat da aller Menschen Macht,

Da Geist und Sinn und Leben

Dir ward ins Herz gegeben?


5.

Durch wessen Kunst steht dein Gebein

In ordentlicher Fülle?

Wer gab den Augen Licht und Schein,

Dem Leibe Haut und Hülle?

Wer zog die Adern hie und dort

Ein jed an ihre Stell und Ort?

Wer setzte hin und wieder

So viel und schöne Glieder?


6.

Wo war dein Herz, Will und Verstand,

Da sich des Himmels Decken

Erstreckten über See und Land

Und aller Erden Ecken?[213]

Wer brachte Sonn und Mond herfür?

Wer machte Kräuter, Bäum und Tier

Und hieß sie deinen Willen

Und Herzenslust erfüllen?


7.

Heb auf dein Haupt, schau überall

Hier unten und dort oben,

Wie Gottes Sorg auf allen Fall

Vor dir sich hab erhoben:

Dein Brot, dein Wasser und dein Kleid

War eher noch als du bereit,

Die Milch, die du erst nahmest,

War auch schon, da du kamest.


8.

Die Windeln, die dich allgemach

Umfingen in der Wiegen,

Dein Bettlein, Kammer, Stub und Dach

Und wo du solltest liegen,

Das war ja alles zugericht't,

Eh als dein Aug und Angesicht

Eröffnet ward und sahe,

Was in der Welt geschahe.


9.

Noch dennoch soll dein Angesicht

Dein ganzes Leben führen;

Du traust und glaubest weiter nicht,

Als was dein Augen spüren;

Was du beginnst, da soll allein

Dein Kopf dein Licht und Meister sein,

Was der nicht auserkoren,

Das hältst du als verloren.


10.

Nun siehe doch, wie viel und oft

Ist schändlich umgeschlagen,

Was du gewiß und fest gehofft[214]

Mit Händen zu erjagen.

Hingegen, wie so manchesmal

Ist das geschehn, das überall

Kein Mensch, kein Rat, kein Sinnen

Ihm hat ersinnen können!


11.

Wie oft bist du in große Not

Durch eignen Willen kommen,

Da dein verblendter Sinn den Tod

Fürs Leben angenommen;

Und hätte Gott dein Werk und Tat

Ergehen lassen nach dem Rat,

In dem dus angefangen,

Du wärst zugrunde gangen.


12.

Der aber, der uns ewig liebt,

Macht gut, was wir verwirren,

Erfreut, wo wir uns selbst betrübt,

Und führt uns, wo wir irren;

Und dazu treibt ihn sein Gemüt

Und die so reine Vatergüt,

In der uns arme Sünder

Er trägt als seine Kinder.


13.

Ach, wie so oftmals schweigt er still

Und tut doch, was uns nützet,

Da unterdessen unser Will

Und Herz in Ängsten sitzet,

Sucht hier und da und findet nichts,

Will sehn und mangelt doch des Lichts,

Will aus der Angst sich winden

Und kann den Weg nicht finden.


14.

Gott aber geht gerade fort

Auf seinen weisen Wegen,

Er geht und bringt uns an den Ort,[215]

Da Wind und Sturm sich legen.

Hernachmals, wann das Werk geschehn,

So kann alsdann der Mensche sehn,

Was der, so ihn regieret,

In seinem Rat geführet.


15.

Drum, liebes Herz, sei wohlgemut

Und laß von Sorg und Grämen!

Gott hat ein Herz, das nimmer ruht,

Dein Bestes fürzunehmen.

Er kanns nicht lassen, glaube mir,

Sein Eingeweid ist gegen dir

Und uns hier allzusammen

Voll allzu süßer Flammen.


16.

Er hitzt und brennt für Gnad und Treu,

Und also kannst du denken,

Wie seinem Mut zu Mute sei,

Wenn wir uns oftmals kränken

Mit so vergebner Sorgenbürd,

Als ob er uns nun gänzlich würd

Aus lauter Zorn und Hassen

Ganz hilf- und trostlos lassen.


17.

Das schlag hinweg und laß dich nicht

So liederlich betören;

Obgleich nicht allzeit das geschicht,

Was Freude kann vermehren,

So wird doch wahrlich das geschehn,

Was Gott dein Vater ausersehn;

Was er dir zu will kehren,

Das wird kein Mensche wehren.


18.

Tu als sein Kind und lege dich

In deines Vaters Arme,[216]

Bitt ihn und flehe, bis er sich

Dein, wie er pflegt, erbarme:

So wird er dich durch seinen Geist

Auf Wegen, die du jetzt nicht weißt,

Nach wohlgehaltnem Ringen

Aus allen Sorgen bringen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 212-217.
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