Ich habs verdient, was will ich doch mich wider Gott viel sperren?

[219] (Micha 7)


1.

Ich habs verdient, was will ich doch

Mich wider Gott viel sperren?

Komm immer her, du Kreuzesjoch

Und bittrer Kelch des Herren!

Ohn Angst und Pein

Mag der nicht sein,

Der wider Gott gehandelt,

Wie ich getan,

Da ich die Bahn

Der schnöden Welt gewandelt.


2.

Ich will des Herren Straf und Zorn

Mit willgem Herzen tragen,

In Sünden bin ich ja geborn,

Hab auch im Sündenwagen[219]

Mit eitler Freud

Oft meine Zeit

Ganz liederlich verzehret,

Gott, meinen Hort,

In seinem Wort

Nicht, wie ich soll, gehöret.


3.

Ich habe den gebahnten Steg

Verlassen und geliebet

Den gottvergessnen Irreweg;

Drum wird auch nun betrübet

Mein Herz und Mut

Durch Gottes Rut;

Er hält ein recht Gerichte

Vor seinem Thron,

Gibt Sold und Lohn

Mit völligem Gewichte.


4.

Gott ist gerecht, doch auch dabei

Sehr fromm und voller Güte,

Die Vaterlieb und Muttertreu,

Die wohnt ihm im Gemüte.

Gott zürnet nicht,

Wie wohl geschicht

Bei uns hier auf der Erden,

Da mancher Mann

Nicht wieder kann

Zur Sühn erweichet werden.


5.

Nein, traun! Das ist nicht Gottes Sinn,

Sein Zorn der hat ein Ende,

Wann wir uns bessern, fällt er hin

Und macht die strengen Hände

Sanft und gelind,

Hört auf, die Sünd

Hier bei uns heimzusuchen;[220]

Gott kehrt den Grimm

Mit Gnaden üm

Und segnet nach dem Fluchen.


6.

Das wird fürwahr auch mir geschehn!

Es solls ein jeder spüren.

Gott wird einmal zum Rechten sehn

Und meine Sach ausführen.

Sein Angesicht

Wird mich ans Licht

Aus meiner Höhle bringen,

Daß seine Treu

Ich frisch und frei

Erzählen mög und singen.


7.

Drum freut euch nicht, ihr meine Feind,

Ob ich darniederliege,

Denn mein Gott wird, eh ihr vermeint,

Mir helfen, daß ich siege.

Sein heilge Hand

Wird meinen Stand

Schon wieder feste gründen;

Es wird sich Freud

Und gute Zeit

Nach trübem Wetter finden.


8.

Ich bin in Not und weiß doch nicht

Von rechter Not zu sagen,

Denn Gott ist meines Herzens Licht;

Wo das ist, muß es tagen

Auch in der Nacht,

Da sich die Macht

Der Finsternis vermehret.

Wann dieses Licht

Mir scheint, so bricht

Und fällt, was mich beschweret.
[221]

9.

Es kommt die Zeit und ist nicht weit,

Da will ich jubilieren;

Der aber, der mich jetzt verspeit

Und pfleget zu vexieren

In meiner Not:

Wo ist dein Gott?

Der wird mit Schanden stehen;

Er wird mit Hohn,

Ich mit der Kron

Der Ehren davon gehen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 219-222.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe: Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte
Erinnerungen 2014: Postkartenkalender - Christliche Lieder & Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe. Gesamtausgabe seiner Lieder und Gedichte
Gedichte Von Paulus Gerhardt (German Edition)

Buchempfehlung

Stramm, August

Gedichte

Gedichte

Wenige Wochen vor seinem Tode äußerte Stramm in einem Brief an seinen Verleger Herwarth Walden die Absicht, seine Gedichte aus der Kriegszeit zu sammeln und ihnen den Titel »Tropfblut« zu geben. Walden nutzte diesen Titel dann jedoch für eine Nachlaßausgabe, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurde. – Hier sind, dem ursprünglichen Plan folgend, unter dem Titel »Tropfblut« die zwischen November 1914 und April 1915 entstandenen Gedichte in der Reihenfolge, in der sie 1915 in Waldens Zeitschrift »Der Sturm« erschienen sind, versammelt. Der Ausgabe beigegeben sind die Gedichte »Die Menscheit« und »Weltwehe«, so wie die Sammlung »Du. Liebesgedichte«, die bereits vor Stramms Kriegsteilnahme in »Der Sturm« veröffentlicht wurden.

50 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon