Hymne an den

Genius Griechenlands

[126] Jubel! Jubel

Dir auf der Wolke!

Erstgeborner

Der hohen Natur!

Aus Kronos Halle

Schwebst du herab,

Zu neuen, geheiligten Schöpfungen

Hold und majestätisch herab.


Ha! bei der Unsterblichen,

Die dich gebar,

Dir gleichet keiner

Unter den Brüdern,

Den Völkerbeherrschern,

Den Angebeteten allen!


Dir sang in der Wiege den Weihgesang

Im blutenden Panzer die ernste Gefahr,

Zu gerechtem Siege reichte den Stahl

Die heilige Freiheit dir.

Von Freude glühten,

Von zaubrischer Liebe deine Schläfe,

Die goldgelockten Schläfe.


Lange säumtest du unter den Göttern

Und dachtest der kommenden Wunder.[127]

Vorüber schwebten wie silbern Gewölk

Am liebenden Auge dir

Die Geschlechter alle!

Die seligen Geschlechter.


Im Angesichte der Götter

Beschloß dein Mund,

Auf Liebe dein Reich zu gründen.

Da staunten die Himmlischen alle.

Zu brüderlicher Umarmung,

Neigte sein königlich Haupt

Der Donnerer nieder zu dir.

Du gründest auf Liebe dein Reich.


Du kommst und Orpheus Liebe

Schwebet empor zum Auge der Welt

Und Orpheus Liebe

Wallet nieder zum Acheron.

Du schwingest den Zauberstab,

Und Aphroditäs Gürtel ersieht

Der trunkene Mäonide.

Ha! Mäonide! wie du!

So liebte keiner, wie du;

Die Erd und Ozean

Und die Riesengeister, die Helden der Erde

Umfaßte dein Herz!

Und die Himmel und alle die Himmlischen

Umfaßte dein Herz.

Auch die Blumen, die Bien auf der Blume

Umfaßte liebend dein Herz! –
[128]

Ach Ilion! Ilion!

Wie jammertest, hohe Gefallene, du

Im Blute der Kinder!

Nun bist du getröstet, dir scholl

Groß und warm wie sein Herz

Des Mäoniden Lied.


Ha! bei der Unsterblichen,

Die dich gebar,

Dich, der du Orpheus Liebe,

Der du schufest Homeros Gesang...

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 126-129.
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