Duldmanns Rache

[211] Wie Duldmann sich gerochen,

Als ihm in sein Gebiet

Ein Weiberdieb gebrochen,

Dies sey mein lehrend Lied

An's ganze Mannsgeschlechte,

Und wen von ungefähr

Sein Schicksal treffen möchte,

Der mach es so wie er.


Sein böser Engel brachte

Zur ungelegnen Zeit

Ihn in sein Haus und machte,

Daß er mit Hastigkeit

Nach seinem Weibchen fragte.

Stellt euch sein Schrecken vor,

Als ihm die Köchin sagte;

Bei ihr sey Coridor.
[212]

Im Puz- und Oberstübchen,

Auf weichem Sofa war

Sein angetrautes Liebchen;

Er fand sie offenbar

Mit ihrem Zeitvertreiber,

Wie einst der Schmiedegott

Die Königinn der Weiber

Zu aller Götter Spott –


Was meint ihr? Was begonnte

Des Mannes Grimmgefühl,

Der Stoff uns geben konnte

Zum Mord- und Trauerspiel,

So schrecklich wie's den Britten

Der große Shakspear sang

Vom Mohren, den kein Bitten

Und keine Thräne zwang?


Ihr denkt an Dolch und Messen,

An Pulver und an Blei,

An giftgemischt Gewässer,

Und an die Barbarei,

Sie beide zu durchboren

Mit einem Degenstich;

Ihr hättet drauf geschworen,

Daß Mund an Mund verblich.
[213]

Ihr irrt euch in der Sache:

Herr Duldmann nahm sein Beil

Und hieb, voll heißer Rache,

Ein großes Mauertheil

Von seinem Küchenheerde,

Lief in ein Bacchushaus,

Und trank auf die Beschwerde

Zwo Quart Burgunder aus.


Drauf ging er heim, und machte

Durch süßen tiefen Schlaf,

Daß er nicht mehr dran dachte.

Was aber Sie betraf,

Sie bebte vor der Lücke

Mit Schaudern, Furcht und Scheu

Ihr Lebelang zurücke

Und blieb dem Manne treu.
[214]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 211-215.
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