Aufforderung an die Muse, daß sie dem Philosoph zu Sans-Souci nachfliehen soll

[52] Den 21. April 1763.


Du Sängerin, tonvolle Muse flieh;

Erato,schwinge dich jezt leichter jezt geschwinder!

Sey wie des Helden Blick, und sieh:


Von Seinem Thron nach Sans-Souci,

Ging Friederich der Ueberwinder;

Nahm mit sich die Philosophie,

Und Ihn begleiteten Apollo's schönste Kinder

Calliope, Melpomene,

Thalia warfen ihre Kränze

Ihm an die Brust; und bey der Spree

Stritt die Najade mit dem Lenze,

Das Er mit seiner grünen Pracht

Dem größten Könige das Ufer schön gemacht.
[52]

Der Frühling wandte sich, und ließ die Nymphe klagen,

Und lächelte dem Helden nach,

Der von dem Streitroß ward getragen,

Das mit Ihm durch die Feldschlacht brach

Bey Liegnitz und bey Torgau, schnaubend

Aus seiner Nase Dampf und Glut,

Und donnernd mit dem Huf, wenn heiße Feindeswut

Nach Friedrichs Lorbeer grif, Ihm in Gedanken raubend.


Dies edle Roß, von Menschenblut

Oft roth gefärbt, bis an die Mähne,

Trug den Monarchen jezt durch Fluren, wo die Thräne

Des Wolkenhimmels, in der Nacht

Den Staub gelöschet und mooßweiche Bahn gemacht,

Und Veilchen schnell hervorgebracht,

Auf beyden Seiten Ihm zu blühen.

Er kam, und Phöbus fuhr in aller seiner Pracht

Dicht über Friedrichs Ruh. Jezt schüttelten Statuen

Ihr steinern Haupt, verwundrungsvoll,

Da, wo in goldner Zeit sein Saitenspiel erscholl.

Pompejus neigte den Cäsaren

Die Stirne zu, vergaß in diesem Augenblick,

Daß beyde seines Ruhms und Hauses Feinde waren;
[53]

Und frug: »Wie? Kommt der Held zurück?

Verberget euch mit mir, o Römer! alle Celten,

Ambronen, Gallier, und was aus beyden Welten

Sich jemals wider Rom erkühnt!

Bezwungne Parther, Thracier und Seythen,

Die grimmig noch zu seyn gefesselt sich bemühten;

Denn jeglicher Triumph verdient

Nicht mehr den Namen; seht die größern Lorbeerreiser

Um unsers Ueberwinders Haupt –«

Er sprachs: da bückten sich Roms hochberühmte Kayser;

Pompejens Lobspruch ward geglaubt.

Die Cäsars schwiegen, und die Griechen

Vom Agamemnon an bis zum Leonidas,

Belegten seiner nun versöhnten Feindin Haß,

Laconisch mit schuldlosen Flüchen,

Weil Sie, durch ihren dritten Krieg,

Den Ruhm des Siegers, der schon alles überstieg,

Bis zur Unsterblichkeit erhoben –

O Muse! sangst du Seinen Sieg,

So kenn auch deine Pflicht, Theresien zu loben!
[54]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 52-55.
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Gedichte (Ausgabe 1792)
Die Sapphischen Lieder: Liebesgedichte
Gedichte: Ausgabe 1792

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