Das neue Jahrhundert

[180] Weht sanft auf ihren Grüften, ihr Winde!

Und hat ein unwissender Arm

Ausgegraben den Staub der Patrioten,

Verweht ihn nicht!


Veracht' ihn, Leyer, wer sie nicht ehrt!

Und stamt' er auch aus altem Heldenstamme, veracht' ihn!

Sie entrissen uns der hundertköpfigen Herschsucht,

Und gaben uns Einen König!


O Freyheit,

Silberton dem Ohre!

Licht dem Verstand', und hoher Flug zu denken!

Dem Herzen gross Gefühl!


O Freyheit! Freyheit! nicht nur der Demokrat

Weiss, was du bist,

Des guten Königes glücklicher Sohn

Der weiss es auch.
[181]

Nicht allein für ein Vaterland,

Wo das Gesetz, und Hunderte herschen,

Auch für ein Vaterland,

Wo das Gesetz, und Einer herscht,


Ersteiget, wem diesen Tod sein grosses Herz verdient,

Ein hohes Thermopylä,

Oder einen andern Altar des Ruhms,

Und locket sein Haar, und stirbt!


Unsterblichkeit dir!

Mit Blumenkränzen umwindet

Die Muse dein heiliges blutiges Haar!

Und weinet Mutterthränen dir nach!


Süss und ehrenvoll ist es, sterben für's Vaterland!

Für Friederich!

Und für des edlen Vaters

Glückliche Kinder, sein Volk!


Ich seh', ich seh', ein Geist der Patrioten

Entflammet der Krieger Schaar!

Du fliessest, fliessest,

Blut für das Vaterland!
[182]

Namen jetzt nicht bekanter, als andere Namen sind,

Fliegen wie Adler empor!

Die Mutter, die Braut trocknen die bebende Thräne schnell,

Denn des Todten Verdienst entweihten Thränen!


Allein mit Weisheit, die männlicher,

Mit Vaterliebe, die edler, als Muth zu kriegen, ist,

Hält Friederich sein Schwert zurück;

Europa donnert! er schweigt.


Dank dir! unser Vater,

Dass wir dein Fest, und unser Fest,

Unter des segentriefenden Friedens

Beschattendem Fittige feyren!


Nicht mit der lärmenden Pracht

Der Freude, welche nur schimmert, und tönt,

Nein, deiner würdiger, Friederich,

Mit tiefanbetendem Preise des Weltbeherschers,


Der uns dich, und deine Väter gab,

Mit stiller Ruh feyren wir,

Mit Freude tief in dem Herzen,

Und ihrer entzückenden Thräne!
[183]

Entschlafnes Jahrhundert!

Hebe dein niedergesunkenes Haupt noch Einmal empor,

Und gieb dem neuen Jahrhundert

Den Segen, welchen du hattest!


Es hebt aus seinem Grabe sich auf,

Und segnet:

Nur Friederich und Christian

Sollen das neue Jahrhundert beglücken!


Das flehen wir, und unsre Kinder,

Vorsehung, dich an!

Dich an, die jetzo die Völker

Mächtig erinnert, sie hersche!


Hört ihr der Herscherin donnernde Wage nicht klingen?

In ihren furchtbaren Klang

Schreyen Blut und Elend!

Nur wenige singen von Friedlen darein!


Die donnernde Wage tönet fort, und wägt!

Ein Sandkorn mehr, jetzt in die Eine,

Dann in die andere Schaale,

Ist Sieg voll Blut und Elend!
[184]

Noch werden der Krieger Stolzeste sagen: Nicht deine brüllenden Tode

Schrecken mich, nicht deine Wetter, Schlacht!

Aber das Sinken und Steigen der göttlichen Wagschaal,

Und ihr Todeston schrecken mich!


O Vorsehung, beschleuss doch endlich,

Endlich die blutigen

Wieder besiegten Siege,

Mit Einem, der Frieden gebeut!


So wollen unser Vater, und wir,

Er, dass er uns liebet!

Wir, dass wir ihn lieben!

Ohne Wehmuth uns freun!


Wie glücklich sind wir!

Weht über der Patrioten Gebein, ihr Winde, sanft!

Auch an Friederichs ungehinderter Liebe

Haben sie Theil!


O du, das uns mit jeder fröhlichen Hofnung umlächelt,

Festliches erstes Jahr!

Mit dem Flügel der Sommermorgenröthe,

Schwebst du dem Tage voran!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 180-185.
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