Die bitter lieb

[276] Im rosenton Hans Sachsen.


25. sept. 1549.


1.

Eins morgens ging ich ausspaziren,

um einen grünen walt refiren,

da hört ich ein heimlich gesprech;

in einem busche in der nech

tet ich durch das gestreus mein schauen:

da saß ein gsell bei einer frauen.

Ich lost zu irem freuntling sagen,

da war es nichts, wan bitter klagen.

das freulein senlich in ansach

und seufzent zu dem jüngling sprach:

»herzlieb, wie sich ich dich so selten?

sag mir doch, was muß ich entgelten?«

Der jüngling fing widerum an:

»vil geng ich dir zu lieb hab tan

und dich doch nit ersehen kunde;

des weinet ich von herzen grunde,

dacht, dein huld ich verloren hab,

all freuntschaft die wer tod und ab.

die eifersucht brach mir das herz,

die sensucht bracht mir heimlich schmerz.«


2.

Sie sprach: »weißt nicht mein treuen mute?

ich hab gewagt leib, er und gute

mit dir, ist das ietzunt mein lon?«

der jüngling sprach: »herzlieb, verschon!

der argwon bracht mich auf das spore,

weil ich dich nicht sach oft als vore.«

Das freulein sprach; »der klaffer vile,

die sehen uns gnau auf das spile,[277]

ob ich dich bei der nacht vernim;

oder ich hör zu nacht dein stim,

zum fenster darf ich nicht aussehen,

förcht auch, dir möcht etwas geschehen.«

Er sprach: »nechten wars mir nit weit,

es jagten mich um mettenzeit

mit bloßer wer die schergenhaufe

eben gleich für dein tür heraufe.«

sie sprach: »erst machst mir sorge mer.

unglück reit mich, wo ich hin ker.

mein man wil mir auch nit vertrauen

und tut gar eben auf mich schauen.«


3.

Der jüngling sprach: »merkt es dein mane,

erst bleib ich nit; ich wil darvane!

es kostet mein und deinen leib.«

erst wart betrübt das zarte weib

und umfing den jüngling mit armen,

sprach: »bleib und tu dich mein erbarmen!«

Der knab tet wider zu ir jehen:

»dein brüder mich tückisch ansehen,

als ob sie merken unser lieb;

nit gut wer, das ich lenger blieb.«

darmit das freulein er umfinge,

nam urlaub, traurig von ir ginge;

Die wand ir hend und rauft ir har.

da dacht ich mir: und ist das war,

das in der süßen lieb verborgen

ligt so vil ungelücks und sorgen,

klag, eifersucht und klafferei,

senen und trauren mancherlei,

ich geschweig des letzten abscheiden,

so wil die bitter lieb ich meiden.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 276-278.
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