|
[175] Das buch natürlicher weisheit
das saget uns, wie auf ein zeit
in eim höl lag ein alter fuchs,
in dem der hunger groß aufwuchs.
in solchem begab sich hernach,
der fuchs ein raben fliegen sach,
der inbrünstig hungriger weis
begeret zu suchen sein speis,
wo etwan leg ein totes as.
als nun der fuchs vermerket das,
war er mit listen gar nit treg,
legt sich gestrecket an den weg,
mit eingfallen kinbacken als
und mit lang ausgestrecktem hals,
mit stil diebischem atem ganz,
mit ganz aufgeflattertem schwanz,
mit allen viern gestreckt on spot,
als ob er da leg und wer tot,
den hungring raben zu betriegen,
ob er herab auf in wolt fliegen
und im seine augen aushacken,
ob ern möcht bei dem hals erzwacken
und möcht ein nachtmal an im haben.
als aber der fuchs von dem raben
also sam tötlich wart gesehen,
da wolt er vor dem grunt nachspehen,
wan er war fürsichtig und klug,
nahet ob dem fuchsen hinflug;
da sach er gewiss an der stet,
wie der fuchs atem holen tet
und zog den heimlich aus und ein.
dardurch erkent die liste sein[176]
der rab und flog von im, allein
nam in schnabel ein kiselstein
und flog auf in den luft mit schallen,
ließ den stein auf den fuchsen fallen.
der fuchs erstunt balt auf vom tot,
da sprach zu im der rab im spot:
fuchs, meinst, das nit das rebisch aug
so scharpf und wol zu listen taug
als dein füchsisch aug vol arglist?
derhalb ich auch zu mancher frist
eim so liegenden fuchs geschicket
sein aug mit meim schnabel auspicket,
ließ im denn den spot zu dem schaden.
der fuchs sprach: ich hab mit ungnaden
auch oft ein raben in den tagen
also ertappt und gen walt tragen
und den gerupfet und gefreßen,
darumb sei nicht also vermeßen,
dem weisen oft in diser zeit
widerfert nit ein klein torheit,
voraus wo in des hungers fraß
darzu übet on unterlaß.
der geizhunger an manchem ent
das herz verdunkelt, augen blent;
wo der aufsperret seinen rachen,
zu füllen sich und feist zu machen,
und er als waget hin auf glück,
schlegt alle erbarkeit zurück
oft wider billichkeit und recht,
das er oft mit dem hals behecht,
umb leib, er, gut und leben kum.
im antwort der rab widerumb:
wiß, das ein fürsichtiger man
sich weislichen fürsehen kan
vor der arglisting trüglichkeit,
wenn er vertraut zu keiner zeit[177]
und sich gar wol umbschauen muß,
e er setzt nider seinen fuß,
das er nicht alle augenblick
gefangen werd und sich verstrick
mit der welt unzeligen netzen,
die in bescheding und verletzen;
und wil er in der welt beleiben,
muß er oft list mit list vertreiben
und muß die fuchslistigen fliehen,
von ir gemeinschaft sich abziehen
und sich nur zu den frommen halten.
der fuchs sprach: des muß als glück walten,
mein rab, wo müst ein man hinkommen,
das er beisamen fünt die frommen,
dieweil ir ist auf ert so wenig?
der listing ist ein große menig,
die all schauen auf iren nutz
und nemen ir arglist zu schutz,
darmit iren geizhunger neren,
es sei mit er oder uneren,
mit gutem schein die leut betriegen,
übervorteilen und beliegen
mit süßen, schmeichelhafting worten
und können auch an allen orten
den schalk gar meisterlich verbergen,
als ob im herzen sie herbergen
nichtes denn lieb, treu unde gunst;
das ist denn aller heuchler kunst,
darmit sie die einfelting fangen,
die darnach in irm netz behangen;
derhalb, mein rab, wilt sicher sein,
so schick dich nur fürsichtig drein.
nach den worten sie beidesander
schiden mit friden von einander.
Aus der fabel der weisen alten
sol ein mensch in gdechtnus behalten,[178]
das er allzeit fürfichtig sei,
weil untreu ist so mancherlei
auf erden gar in allen stenden,
geistlich und weltlich regimenten,
und ist in aller welt gemein,
verdecket doch mit gutem schein,
als sei nichts da denn lieb und treu.
ist doch Judas kus teglich neu!
lach mich an unde gib mich hin,
das ist fast aller welte sin.
des nem ein man die ler allein:
wo er wil unbetrogen sein,
da tu er nicht zu weit vertrauen,
sonder tu mit fleiß für sich schauen,
auf das er nicht betrogen wer;
wan wo zu weit vertrauet er,
so wirt gewislich er betrogen
und mit der nasen umbher zogen,
dardurch im denn nachreu erwachs,
mit spot zum schaden, spricht Hans Sachs.
Anno salutis 1559, am 11. tage Februarij.
Ausgewählte Ausgaben von
Spruchgedichte (Auswahl)
|
Buchempfehlung
Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro