Fortunat

[228] Romanze.


Thauig in des Mondscheins Mantel

Liegt die stille Sommernacht,

Und ein Ritter reitet singend

Wiesenplan und Wald entlang.


Munter zu, mein gutes Pferdchen!

Sagt er, klatscht ihm sanft den Hals;

Weißt du nicht, daß wartend Lila

An dem offnen Fenster wacht?


Bist ja kein Turnier- und Streit-Roß,

Wie sein Reiter steif und starr,

Das, den Stachel an der Stirne,

Nur so blindlings rennen mag.


Nein, du trägst auf seinen Zügen

Den behenden Fortunat,

Schmiegst mit ihm dich still im Dunkel

Ueber Stege, glatt und schmal.
[229]

Bald zu dieser, bald zu jener

Gieng die heimlich nächt'ge Bahn;

Abends hin mit raschem Sehnen,

Früh zurück mit trägem Gram.


Wann ich oft von deinem Rücken

Mich zur hohen Kammer schwang,

Standst du still, bis mich empfangen

Der Geliebten zarter Arm.


Ja ich weiß, wenn eine Spröde

Herz und Thür verschlöße gar,

Würdest du mit leisem Hufe

Klopfen, bis sie aufgethan.


Wie er noch die Worte redet,

Oeffnet sich ein heimlich Thal.

Bin ich, sprach er, irr' geritten?

Ist mir's doch so unbekannt.


Wunderlich durch Sträuch' und Bäume

Schleicht des Mondes blaßer Strahl,

Und ein Busch mit blüh'nden Rosen

Winkt von drüben voll und schlank.


Busch, ich grüß' in dir mein Bildniß,

Rosen trägst du ohne Zahl;

Und mir blüht im regen Herzen

So der Liebe süße Wahl.


Manche reif, und Knospen andre,

Alle doch verblüh'n sie bald,

Und der Saft, der jene füllte,

Wird den jüngern zugewandt.
[230]

Denn den Kelch, der sich entblättert,

Schließet keines Willens Kraft.

Lila, Lila! diese Knospen

Droh'n dir meinen Unbestand.


Aber daß du nicht ihn ahndest,

Komm' ich mit dem Kranz im Haar,

Biet' ein schön erröthend Sträußchen

Deinem weißen Busen dar.


Rosen, Rosen! laßt euch pflücken,

So zu sterben ist kein Harm:

O wie will ich euch zerdrücken

Zwischen Brust und Brust so warm!


Und er lenkt das Roß entgegen,

Doch es scheut sich, wie es naht,

Und er kann von keiner Seite

Dicht zur Rosenlaub' hinan.


So gewohnt bei Nacht zu wandern,

Thöricht Roß, wie kommt dir das?

Fürchtest du die Licht' und Schatten,

Wankend auf dem feuchten Gras?


Doch es tritt zurück und bäumt sich,

Wie er spornt und wie er mahnt;

Drauf mit seinen Vorderfüßen

Stampfet es den Grund und scharrt.


Wühlet weg den lockern Boden.

Tief und tiefer sich hinab.

Schätze, glaub' ich, willst du graben;

Eben ist's ja Mitternacht.
[231]

Unter seinem Huf nun dröhnt es,

Das sind Bretter, ist ein Sarg,

Und es traf ein Schlag gewaltig,

Daß der schwarze Deckel sprang.


Schwingen will er sich vom Sattel,

Doch er fühlt sich dran gebannt,

Und der Gaul steht jetzo ruhig

Vor dem Sarg, im Boden halb.


Und es hebt sich wie vom Schlummer

Eine weibliche Gestalt,

Deren Züge blaßer Kummer,

Aber sanfte Lieb' umwallt.


Kommst du, hier mich zu besuchen,

Deine Clara, Fortunat?

Diese Linden, diese Buchen

Waren Zeugen unsrer That.


Wie du Treue mir geschworen,

Wie dein Mund so flehend bat,

Meine Ros' ich dann verloren,

Und die Scham danieder trat.


Doch die Sünde ward mir theuer,

Mahnte nun mich früh und spat;

Für des Angedenkens Feuer

Wußt' ich keinen andern Rath,


Als mich hier so kühl zu betten,

Wie du siehst, daß ich gethan.

Ach! ich hofft' in Liebesketten

Dich noch einmal hier zu fahn.
[232]

Von des stillen Thales Schooße

Wird geschirmt die bange Scham;

Lieb' erzog hier manche Rose

Für die eine, die sie nahm.


Sieh dieß Lager, traut und enge,

Wie ich sorgsam anbefahl,

Daß es uns zusammendränge

Zu der süßen Wollust Qual.


Durch des Vorhangs grünen Schleier

Bricht kein unwillkommner Strahl,

Und uns weckt aus ew'ger Feier

Keiner Mond' und Sonnen Zahl.


In den kühlen Arm zu sinken

Beut die heiße Brust mir dar.

Deine Seel' im Kuße trinken

Will ich nun und immerdar.


Leise zieht sie ihn hernieder:

Schöner Jüngling, so erstarrt?

Kaum gebrochne Augen hebend,

Sinkt er zu ihr in den Sarg.


Lila, Lila! wollt' er lispeln,

Doch es ward ein sterbend Ach,

Weil alsbald des Grabes Schauer

Seinen Lebenshauch verschlang.


Mit Getöse taumeln wieder

Fest die Bretter auf den Sarg,

Und ein Sturm verwühlt die Erde,

Die der Gaul hat aufgescharrt.
[233]

Heftig bricht er alle Rosen,

Säuselnd blättern sie sich ab,

Streu'n sich zu des Brautbetts Weihe

Purpurn auf das grüne Gras.


Weit ist schon das Roß entsprungen,

Flüchtig durch Gebirg' und Wald,

Kommt erst mit des Tages Anbruch

Vor der Hütte Lila's an.


Bleibt da stehn, gezäumt, gesattelt,

Ledig, mit gesenktem Hals,

Bis die arme schlummerlose

Seine Botschaft wohl verstand.


Und dann floh es in die Wildniß,

Wo kein Aug' es wieder sah,

Wollte keinem Ritter dienen

Nach dem schlanken Fortunat.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 228-234.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon