Am Geburtstage meiner Gattin

[51] Als du geboren warst, als Gottes Licht

Zum ersten Mal dein keusches Aug' geküßt,

Da mischtest du an deiner Mutter Brust

Die süße Milch mit Thränen, die dir mehr,[51]

Als andern Säuglingen entquollen;

Denn ach! dein Engel stand am Eingang

In deines Lebens dornbesäte Gänge

Und sprach prophetisch diese Worte:

Helena! in der Stunde deines Werdens

Sah ich im Heiligthum, von Wolkendunkel

Dichtumflossen einen goldnen Becher,

Gefüllt mit starkem Wein, durchbittert

Mit Wermuth. – »Ja, sie soll ihn trinken,

Sprach weggewandt der Menschenvater,

Und ist er ausgeschlürft bis auf die Hefe,

Die trüb' und schlammig an des Bechers

Goldnem Boden gährt: so hole sie!

(Dich, Eliel, wähl' ich zu ihrem Engel)

So hole sie in Wolken süßes Schlummers

Herauf zu mir. Hier, diese Krone,

Mit meines Himmels hellsten Steinen

Besät – und dort dies Schneegewand,

So weiß im Lammesblut gewaschen,

Sei dann ihr Lohn! Auch sproßt dort eine Palme

Für ihre Rechte, sie zu schwingen

Am gläsernen Meer.« Der Menschenvater schwieg.

Ich flog herab und kühle dir die Wange,

Noch glühend von den Schmerzen der Geburt.

O Dulderin, was hier der Engel sprach,

Ist bald erfüllt. Bald ist der letzte Tropfen

Hinabgeschlürft in deinem Leidenskelche.


Ach, mancher Tropfen fiel wie Feuer

Dir, Helena, aufs Herz. Doch keiner heißer,

Als da ein Todesengel mich mit eiserm Arm

Von deinem Busen riß, und mich

Ins Felsengrab verschloß – lebendigtodt!

Du eine Witwe – ich lebendigtodt!

Die vollen Halme meiner Mannesjahre

Zerknickt, im Hagelsturm zerknickt!

Da starrtest du – ein Denkmal des Entsetzens!

Und deine Kinder heulend um dich her.

So liegen abgerißne Zweige um den Baum,[52]

Den Gottes Wetterstrahl geflügelt traf;

Aufdampft der Stamm und Zweig' und Wipfel dorren.

Ich aber lag in grauser Kerkernacht

Und meine Ketten klirrten fürchterlich.

Doch fürchterlicher war das Angstgebrüll

Nach Freiheit! und nach dir! und meinen Kindern!

Von Thränenblut und Angstschweiß faulte

Das Strohbett unter mir. Um meinen Felsen

Krächzten Raben, die Fäulnis witterten;

Auch zuckten Stürme; doch das Rasen meiner Klage

War lauter als der Stürme Wuthgetümmel.

Doch, Mitternacht, bedecke diese Scene

Mit deinem Rabenmantel!


Aber du,

O Dulderin, getrost! bald ist der letzte Tropfen

Hinabgeschlürft von deinem Leidenskelche.

Dann ist die Krone und das Schneegewand,

Dann ist die Palme dein!


Indessen

Streck' ich hier in meinem Kerkergrabe

Den müden Arm nach deiner Luftgestalt

Und danke dir an deinem Wiegenfeste,

Für jede Thräne, die dir meinetwegen floß!

Für jede Wohlthat, die von deinen Händen

Wie Goldthau von Aurorens Fingern trof!

Für jedes Angedenken an mich Armen,

Das deine Brust, so weiblichgut, durchschaurt.

Für jeden Seufzer, jedes Glutgebet,

Das du für mich gen Himmel schicktest,

Wenn du dem Berge meines Jammers

Gegenüber knietest und Gott um Lösung batst!

Für jeden Dornengang, den du für mich,

Für meine Rettung hast umsonst gewagt!

Für jedes Schmachten deines treuen Herzens

Nach mir! nach mir! der immer noch

Am Felsen angeschmiedet ächzt,

Von Geiern tiefes Grams zerfleischt,[53]

Und vom Gewimmel stachlicher Sorgen

Gleich Hornissen und Bremsen laut umsummt!

Für jedes Mitleid, das in blut'gen Tropfen

An deinen Wimpern hing, dank' ich, Geliebte, dir!


Auch dank' ich dir, daß du auf deiner Wage

Das Gute nur, das mir vom Ebenbild

Der Gottheit übrig blieb, voll Nachsicht wägst,

Und am Gewichte meiner Fehler

Nie mit dem sanften Auge weilst!

Ach Dulderin! ach Christin! Weib

Nach meinem Herzen! Du Sanfte, deren Blut

Wie Taubenblut in blauen Adern fließt!

Du Bild der Demuth, das in stolzen Reihen

Der aufgeschwollnen Trotzer niederblickt!

Nur ihre Schwäche fühlt und nicht den Werth

Der hohen Tugend, die den Engeln

Dich ähnlich macht! wie dank' ich dir!

Ach, schwarz und blutig stürzt die Thräne

Mir ohne Unterlaß von bleicher Wange,

Denn ich, ich hab' in öder Mitternacht

Das Donnerwort gehört: Nicht würdig

Warst du solch eines Weibes! ach darum

Stürzt schwarz und blutig mir die Thräne

Ohn' Unterlaß von bleicher Wange.

O Gott, zu dem ich strecke meine Hand,

Lohn' ihr, der besten Gattin! und der Mutter

Voll Muttertreu'! der Dulderin! der Christin!

All' ihre Lieb'! all' ihre Muttertreu'!

All' ihre Sanftmuth, Demuth und Geduld,

Die lange schon den zarten Hals der Wucht

So langer, schwerer Leiden unterbeugt.

Lohn's ihr, du Allbelohner, wie du ihr's

Am Tage ihres Seins verheißen hast,

Mit Kron' und Schneegewand und Palme!

Und füll' ihr dann den goldnen Becher

Mit Freuden an, daß sie von deinem Auge

Angelächelt, schlürf' aus ihm Entzücken.

Dann trocknest du die Thränen von dem Auge[54]

Der Langgeprüften! – Dann, o Vater! darf ich's wagen,

Ihr dann vor deinem Angesicht zu fallen

Um ihren Hals, und lange dran zu weinen,

Des Wiedersehens Paradiesesthräne,

Und spät erst herzustammeln diesen Segen:

Helena, ewig mein – nun bist du ewig mein!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 51-55.
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