Notgedrungener Prolog

[174] zu einer Aufführung des »Peter Squentz« von Gryphius


Der Pickelhering tritt auf


Hier mach ich euch mein Kompliment!

Der Pickelhering bin ich genennt.

War einst bei deutscher Nation

Eine wohlansehnliche Person;

Hatt mich in Schlössern und auf Gassen

Nicht Schimpf noch Sprung verdrießen lassen

Und mit manch ungefügem Stoß

Mein' sauren Ruhm gezogen groß.

Doch, Undank ist der Welt ihr Lohn!

Seit war ich lang vergessen schon;

Verschlief nun in der Rumpelkammer

All Lebensnot und Erdenjammer;

Da haben sie mich über Nacht

Plötzlich wieder ans Licht gebracht.

Wollen ein alt brav Stück tragieren,

Drin meine Kunst noch tut florieren,

Ein Stück, darinnen sich von zwei

Nationen zeiget die Poesei!

Ein Engländer Shakespeare hat es ersonnen

– Hab sonst just nichts von ihm vernommen –,

Dann aber hat es Herr Gryphius,

Der gelahrte Poete und Syndikus,

In rechten Schick und Schlag gebracht[174]

Und den deutschen Witz hineingemacht.

Da hört ihr, wie ein ernster Mann

Auch einmal feste spaßen kann.


Doch, Lieber, sag mir, wenn's gefällt

– Ich war so lang schon außen der Welt –,

Herr Professor Gottsched ist doch nicht zugegen? –

Ich gehe demselben gern aus den Wegen;

Es ist ein gar gewaltsamer Mann

Und hat mir übel Leids getan;

Meinen guten Vetter Hans Wursten hat er

Zu Leipzig gejaget vom Theater,

Weil er zu kräftiglich tät spaßen.

Hätte ja mit sich handeln lassen!

Wir – haben unsre Kurzweil auch;

Doch, Lieber, alles nach Fug und Brauch!

Denn sonders vor dem Frauenzimmer

Muß man subtile reden immer;

Sie zeuchen das Sacktuch sonst vors Gesicht,

Und da schauen sie die Komödia nicht.

Dies aber wär schad überaus;

Denn es ist ein ganzer Blumenstrauß!

Tulipanen und Rosmarin,

Auch Kaiserkronen sind darin;

Die Vergißmeinnichte, so es zieren,

Werden euch sanft das Herze rühren;

Mitunter ist dann auch etwan

Ein deutscher Kohl dazugetan;

Und sollt eine Saudistel drinnen sein,

Das wollt ihr mildiglich verzeihn!

Und nun, Lieber, hab guten Mut,

Und merke, was sich zutragen tut!

Denke: Ein Maul ist kein Rachen,

Eine Kröt ist kein Drachen,

Ein Fingerlein ist kein Maß –

Aber ein Spaß ist alleweil ein Spaß!
[175]

Quelle:
Theodor Storm: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 41978, S. 174-176.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1885)
Gedichte
Laß mich ruhn in deinem Arm: Die schönsten Liebesgedichte. Ausgewählt von Hark Bohm (Lyrik)
Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Gesammelte Werke: Gedichte, Märchen und Spukgeschichten, Novellen

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon