Vierzehenter Brief.

Ernestinchen an Fiekchen.

[108] Liebstes Fiekchen!


Was wirst du wohl dazu sagen, wenn ich dir berichte, daß ich aus meines Onkels Hause entflohen bin, und mich nun ganz in die Arme des Herrn Rittmeisters geworfen habe? – Ich muß dir den Vorfall erzählen.

Vor drei Wochen brachte er uns die traurige Nachricht, daß sein Regiment marschiren müsse. Wie mir dabei um's Herz war, kannst du dir leicht vorstellen. Ich ließ mir es nicht so merken; hingegen die Frau Tante weinte wie ein kleines Kind, dem man die Arschbacken vollgeklitschet hat, und Jedermann dachte, sie würde rasend werden. Der Herr Rittmeister war nun[109] alle Tage bei uns, aber er konnte fast nie mit mir zur Rede kommen; denn die Frau Tante gieng ihm, um ihn noch recht zu genießen, wenig von der Seite. Endlich fiel er auf sein bekanntes Mittel, und machte mir eine nächtliche Visitte durchs Fenster. Nachdem wir der Göttin der Liebe unseren Weihrauch abgebrannt hatten, schwuren wir uns, einander nicht zu verlassen; und verabredeten alles dasjenige, was wir wirklich ausführeten, und du gleich lesen wirst.

Ich machte mich in der folgenden Nacht mit Sack und Pack aus dem Hause, und begab mich in sein Quartier. Als man mich des andern Tages nicht fand, entstand ein erschröcklicher Lärmen; und der Onkel schickte alle seine Pfarrdrescher nach mir aus. Indessen war in einer Stadt, eine Meile von uns, einem Menagerie-Innhaber ein großer Pavian krepiert; den ließ der Herr Rittmeister holen, durch den[110] Eskädrons Feldscheer sauber barbieren und waschen; zog ihm dann eines von meinen schlechtesten Kleidern an, und ließ ihn mit zerschlagenem, und unkenntlich gemachtem Gesichte, des Nachts vor einem nahen Walde an die Straße legen.

Früh Morgens kam schon Nachricht, man habe einen todten Körper gefunden; und er wurde einhellig für des Pfarrers Ernestinchen erkannt. Jedermann glaubte, ich sey aus Verzweiflung davon gelaufen, und von Räubern erschlagen worden: und es war um desto wahrscheinlicher; weil ich etliche Tage zuvor ein gewaltiges Demelee mit der Frau Tante gehabt hatte. Ich wurde nun mit den gewöhnlichen Leichenzeremonien zur Erde bestattet, und der Herr Onkel hielt mir eine schöne Leichenpredigt, las auch meinen Lebenslauf von der Kanzel ab.[111]

Es that mir sehr lächerlich, mich selbst begraben zu sehen, denn der Leichenzug gieng gerade unter meinem Fenster vorbei, und ich guckte hinter den Gardinen hervor, dachte aber: »Begrabet mich nur immer hin.« Alle Nachfrage hörte nun auf, weil man mich in der kühlen Erde glaubte; ich durfte mich aber vor keinem Menschen sehen lassen. Den Tag vor dem Abmärsche kroch ich, in Gesellschaft einer Reitersfrau, in des Herrn Rittmeisters Rüstwagen, und so gieng's voraus, bis auf die erste Stazion. Des andern Tages kam die Schwadron nach, und der Herr Rittmeister erzählte mir noch, daß ihm die Frau Tante weit nachgelaufen wäre, und mit Teufels Gewalt mit gewollt hätte. Da sie nun durch keine Vorstellungen zum Umkehren zu bewegen gewesen, hätte er sich bemüßiget gesehen, sie meiner Sicherheit wegen durch den Stöckelknecht bis in die Pfarre zurückpeitschen zu lassen.[112]

Auf dem ganzen Marsche, der acht Tage dauerte, war ich des Herrn Rittmeisters Matratze. Vorgestern rückten wir im neuen Quartier ein. Er deklarirte mich sogleich für seine Haushälterinn, und du kanst gar nicht glauben, was die Leute für Respekt gegen mich bezeigen. Alles zieht den Huth ab, wenn ich komme; und sogar die Schildwache präsontirte mir schon einmal das Gewehr, als ich vorbei gieng.

Das Soldatenleben ist doch ein lustiges Leben, und für ein Mädchen kann ja nichts schöneres seyn, als ein Offizier. Es ist ein doppelter Grund, warum wir die Soldaten so lieben. Erstens sind sie lauter wohlgewachsene, angenehme, visitirte Leute; dann denken wir: Ei die armen Narren müssen sich um des Staatswillen zerhauen, zerstechen, oder wohl gar todt schießen lassen; – drum müssen wir ihnen auch aus Mitleiden jede Gefälligkeit erlauben, damit sie sich vor ihrem Ende[113] noch was zu gute thun können. Lebe wohl. Ich bin


Dein Ernestinchen.

Quelle:
Karl Timlich: Priaps Normal-Schule die Folge guter Kinderzucht. [München] [1971], S. 108-114.
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