Brief an den Theologen M* H**,

[111] enthaltend:


C* M** Abschied und Testament,

als er sich nach einer unglücklichen Spielpartie den Tod anthun wollte.


Leb wohl, Herr Bruder, ewig wohl,

Von hinnen muß ich scheiden,

Ich weiß schon, daß ich sterben soll,

Für mich gibt's keine Freuden.

's Commerceln, 's Zwicken und 's Billard

Das bringt mi unter d'Erden,

Schau, Bruderherz, wenn das net war,

Aus mir könnt eppas werden,

Denn gestern hob'ns mi wieder zwickt,

Hast's selbst g'segn ohne Zweifel,

Dös Geldl, von mei'm Vater g'schickt,

Is richti itzt beim Teufel.
[111]

Itzt muß i wirkli bei den Dreck

Zu Fuß nach München wandern;

Doch nein, von dieser Erde weg,

Erzähl du dies den Andern.


Bis 10 Uhr heute in der Fruh

Und fünf und zwanz'g Minuten

Schwimmt M** wie a todte Kuh

Dort in den Isarfluthen.


Mei'm Leichnam soll die letzte Ehr

So wie gewöhnlich g'schehen,

Doch wünsch i, wenn es mögli wär,

Soll's so in Ordnung gehen:


Von Schweindl drüb'n die zwei Marqueur

Von Fletscher und von Galler

Die trog'n mein'n Sarg, dafür gibst her

An jeden zwei groß' Thaler.


Zwei neue kreuzweis g'legti Ouee,

Zwei Bäll, den roth'n und weiß'n,

Legst du mir auf des Sarges Höh'

Nebst Karten – das soll heißen:
[112]

Der da in diesem Sarge liegt,

Der hier die Straß' passiret,

Den hob'n's schön unter d'Erden zwickt

Und z'todt carambuliret.


Der Schweindl soll als Kläger dann

Den ganzen Zug begleiten,

Der Wastl sei der zweite Mann,

Doch beide sollen's reiten;


Damit die Welt erkennen thut,

Daß der, hier ausgelitten,

Jetzt dort in jenem Sarge ruht,

Nicht wenig oft geritten.21


Es soll, weil's so gebräuchli is,

Und stets der Brauch is g'wesen,

A b'soffner Pfarr-Vicarius

An etli Messeln lesen.


Wos nun mein Testament betrifft,

So wünsch i, wann i sterbe,

Daß all mein mobilares Gut

Der Xaver Lehner erbe.
[113]

Den Parisl dem Winterbrand,

Er soll'n gut pfleg'n und warten;

Er soll mein'n P** operirn,

Der g'hört in Firmagarten.


Mein Schätzerl vermach i Dir;

Denn bin i von der Erden,

So kann ma's Mensch mein'tweg'n non wohl

A Pfaffalutschen werden.


Lebt's alli wohl, verzeih enk Gott

All enkri schweri Sünden –

Bis wir uns in der Ewigkeit

Im Portnerstübl finden.

21

Heißt im akademischen Ausdrucke: sich zornig äußern.

Quelle:
D. C. Müller: Gedichte, Aufsätze und Lieder im Geiste Marc. Sturms. Rorschach 1853, S. 111-114.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon