Frischlin1

[76] Wo liegt Frischlin, der Bruder meines Geistes,

Wo scharrten sie des Edeln Asche hin?

Wo ist sein Grab mit stillem Moos bewachsen?

Wo liegt Frischlin?


Er schlummert nur – vielleicht auf einem Anger!

Denn Fürstenhaß lag auf ihm hügelschwer,

Und Pfaffen brüllten über seiner Leiche:

Verdammt ist er!


Und doch, Frischlin, hat dir vom Aug' herunter

Der Aetherstrahl des Genius geflammt;

Und besser warst du, als die Hasser alle,

Die dich verdammt.


Als Knabe schon griffst du mit kühnem Finger

Ins Saitenspiel. Als Jüngling wirbelst du

Der Lyra Strahlen. Deine Töne flogen

Den Wolken zu,[76]


Die um den Mond mit Silberduft sich ziehen.

Versammelt waren Roma's Dichter drauf.

Sie stutzten: Aus den Wäldern der Barbaren

Steigt Sang herauf?


Dir hat Apoll, wie Plautus! deinem Bruder,

Mit eigner Hand den Sokkus angeschnürt,

Und Jokus hat in seinen Nektarkeller

Dich selbst geführt.


Er reichte dir in einem Faunenhorne

Des Göttertrankes viel. Da stieg dein Herz

Herauf ins Antlitz, und die Lippen troffen

Von hellem Scherz.


Dich hat Homers und Maro's Geist belächelt,

Und selbst der Geist des stürmenden Pindar.

Es segneten der alten Geister alle

Dich unsichtbar.


Dein Auge sah nicht mit dem Scholiasten

Nur Wörterkram und Periodenfluß.

Es sah das Schöne; sah das Wetterleuchten

Des Genius.


Wie silbernes Geträufel aus den Wolken

War deine Red' im vollgedrängten Saal.

Die Wahrheit schien ein Schwert in deinem Munde,

Ein Wetterstrahl.


Als Römer schriebst du; aber deine Seele

Voll Vaterland, liebt deutschen Biederton.

Du sprachst den stolzen purpurnen Tyrannen

Ins Antlitz Hohn.


Da schlug Gewaltthat dich in Eisenfessel;

Sie ging voll Hohn um deine Gruft herum,

Und brüllte: Ha, da fault er nun, mein Hasser,

Auf ewig stumm.[77]


Du aber schnellst mit wuthbeflammten Händen

Die dichtgeringte Eisenlast entzwei;

Entreißst dich muthig durch des Kerkers Quader

Der Sklaverei.


Doch ach! an eines grauen Felsen Wurzel

Fand er, der Edle, seinen Martertod.

Ein Winzer sah den Dichter blutig liegen

Im Morgenroth.


Wo ruht er nun, der Bruder meines Geistes?

Wo scharrten sie des Edlen Trümmer hin?

O sagt mir's, daß ich ihn mit Thränen salbe:

Wo liegt Frischlin?

1

»Der Literator würde mich dauern, dem ich's erst erweisen müßte, daß Frischlin ein vortrefflicher Kopf war. Der Dichter, Redner, geschmackvolle Philolog, – noch mehr, der Märtyrer für die Wahrheit, einigte sich in ihm. Noch hat er weder Monument, noch Biographen. Also, einstweilen nur diese Rosmarinstaude auf sein Grab«. –

Anm. Schubarts.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 76-78.
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